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ILB-Kunstpreis 2023

Tillmann Stenger, Ilka Raupach und Matthias Flügge bei der Verleihung des ILB-Kunstpreises 2023
ann Stenger, Seonah Chae und Matthias Flügge bei der Verleihung des ILB-Kunstpreises 2023

Für das Jahr 2023 lobte die Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) erneut einen Kunstpreis aus. Dieser war mit einem Preisgeld von 10.000 Euro dotiert. Darüber hinaus gab es einen Förderpreis in Höhe von 5.000 Euro für Künstler*innen unter 40 Jahren.

Ilka Raupach (Hauptpreis) und Seonah Chae (Förderpreis) sind die Preisträgerinnen des zum zweiten Mal ausgeschriebenen ILB-Kunstpreises 2023. Ihre Ausstellung "Unter den Bäumen regnet es zweimal" ist von Januar bis April 2024 in der ILB zu sehen.

Meine Damen und Herren,

wenn wir heute zum zweiten Mal den Kunstpreis der ILB an eine dem Land Brandenburg eng verbundene Künstlerin verleihen, so ist damit natürlich noch lange keine Tradition begründet, wohl aber eine Hoffnung darauf, dass sich dieser wunderbare Preis in unserer mit privatem Engagement für Kunst und Künstler nicht allzu übermäßig gesegneten Gegend gleichsam festsetzen möge. Ich sage das nicht nur aus Gründen wohlfeiler Ermutigung der Preisgeber sondern vor allem aus der Erfahrung der beiden Jurysitzungen, an denen ich teilnehmen durfte. Es war auch diesmal wieder eine große Beteiligung von knapp 140 Künstlerinnen und Künstlern, deren Portfolios von einer Vorjury durchgesehen worden waren. Und es war wieder eine aussagefähige Übersicht über die Vielfalt der Mittel und Methoden, der Formen und Ideen, die in der künstlerischen Praxis hierzulande lebendig sind und die öffentliche Resonanz mehr als verdient haben.

Am Ende hat die Jury einstimmig den Preis an Ilka Raupach vergeben. Sie ist eine Künstlerin mit einem klaren und zugleich offenen Programm, das auf eine ganz besondere Weise mit Natur und Natürlichkeit verbunden ist, mit Wachsen, Werden und Vergehen im ganz realen aber auch in einem von der Kultur geprägten metaphorisch-bildhaften Sinn.

Sie versteht sich als Bildhauerin, denn sie baut ihre dreidimensionalen Werke nicht aus ihrem Material – dem Holz vor allem – auf, sondern schlägt, schält, schnitzt oder sägt sie heraus aus einem Block, bzw. einem Stamm, einem Baumstamm. Holzbildhauerei ist eine uralte Technik und in den Kulturen aller Völker endemisch, die Zugang zu Wäldern haben. Und doch weiß man wenig über ihre ganz frühe Geschichte, denn das Holz ist ein vergänglicher Stoff.

Die ältesten erhaltenen Spuren weisen auf die Ägypter. In Europa war das Holz über Jahrhunderte vor allem ein profanes, handwerklich genutztes Material, in der Kunst ein Mittel zum Zweck, bis hin zur Moderne wurden geschnitzte Bildwerke zumeist prächtig vergoldet und farbig gefasst. Mittlerweile hat die Kunstgeschichte ja auch herausgefunden, dass die holzsichtigen Figuren von Tilman Riemenschneider gar nicht als solche konzipiert waren. Die ästhetische Eigenwertigkeit des Holzes spielte lange Zeit nur in Architektur und Möbelbau eine gewisse Rolle. Erst in der Moderne des 20. Jahrhunderts und nicht zuletzt durch deren Begeisterung für die afrikanischen und ozeanischen Skulpturen emanzipierte sich das Holz zu einer gleichsam autonomen materialästhetischen Kategorie der Bildhauerei. Denken Sie nur an die hölzernen Skulpturen von Ernst Barlach bis in die Gegenwart zu Lüpertz, Baselitz und Penck, die es allerdings auch häufig bemalten oder gar in Bronze abgossen.

Dass nun liegt Ilka Raupach fern. Sie schließt dort an die Moderne des 20. Jahrhunderts an, wo die ästhetische Qualität des Holzes, die optische wie die haptische, die, die man sieht und die, die man berühren kann, ein gleichwertiges Kriterium neben der Form geworden war. Und sie geht auch einen Schritt weiter, indem sie die anthropomorphe Gestalt verlässt, ohne in die reine Abstraktion oder in konzeptuelle Werkformen auszuschreiten. Was wir sehen, wenn wir vor den Skulpturen stehen, sind der gewachsenen Natur entlehnte florale Formen, Formen, die mit Wachstum und Vermehrung wie Verbreitung zu tun haben: Samenkörner vor allem, auch Blüten und Blätter, Knospen und Kapseln, dazu Dolden, Zapfen und anderes mehr, was die Phantasie erkennen kann.

Dahinter steckt ein ästhetisches und ein praktisch handwerkliches Konzept. Ilka Raupach kommt von Handwerk her und hat sich ihr Material, man könnte fast sagen, auf eine philosophische Weise im Wege der Erkenntnis erschlossen. Aber das ist nur die eine Seite dieser Arbeit. Die andere ist das Reisen, die Begegnung mit anderer Landschaft, anderen Menschen, anderer Kultur und die Erkundung der Möglichleiten einer empirischen wie emphatischen Annäherung. Das ist das zweite prägende Moment von Ilka Raupachs künstlerischer Biographie, die von Beginn an von der Neugier auf die Welt geprägt war.

1976 in Henningsdorf geboren, hat sie eine handwerklich-künstlerische Ausbildung zur Elfenbeinschnitzerin in Michelsdorf im Odenwald absolviert, war in dieser Zeit vier Monate bei Elfenbeinschnitzern in Grönland und hat die Ausbildung als Meisterin abgeschlossen ehe sie nach Halle an die Burg Giebichenstein ging, um Bildhauerei zu studieren. Die Burg war immer schon ein Ort, an dem sich der freie Geist der künstlerischen Moderne ungehindert mit dem Ethos des Handwerks verbunden hat. Seit ihrer Studienzeit, die sie an der Kunstakademie im norwegischen Bergen abgeschlossen hat, ist Ilka Raupach immer wieder zu Projekten, Recherchen und Ausstellungen in den Norden gereist, vor allem zu Bildhauersymposien, um dort mit Schnee zu modellieren.

Es ging wohl vor allem darum, sich aus der eigenen, künstlerisch wie handwerklich elaborierten Perspektive ein Bild von der Welt zu machen, das sich nicht motivisch sondern substantiell in den Werken widerspiegelt. Als eine Art der Anverwandlung.

Auch darum war die Arbeit von Ilka Raupach seit ihrem Beginn den komplexen Fragen des Verhältnisses von Kultur und Natur interessiert, wobei ihr Begriff von der Natur weniger wissenschaftlich geprägt ist sondern eher philosophisch als der Ort jener Kräfte, die außerhalb unserer, der menschlichen Kraft, wachsen und wirken. Deshalb ist sie immer wieder an Orte gereist, wo sich dieses Verhältnis von Natur und Kultur ganz anders gestaltet. Und zwar je nach eingenommener Perspektive: konfrontativer oder harmonischer. Und so kam zur Faszination der Nordpolarwelt die des südamerikanischen Regenwaldes, wo die kostbaren kleinformatigen Ölkreidezeichnungen in unserer Ausstellung entstanden.

Bei aller Begeisterung durch das Exotische war der Künstlerin doch immer klar, dass beide Erdteile in all ihrer Gegensätzlichkeit vor allem dadurch verbunden sind, dass der Mensch dabei ist, sie zu zerstören, indem er ihre Ökosysteme aus der Balance geworfen hat und weiter wirft. Sie hat sich einem interdisziplinären Projekt angeschlossen, in dem Anthropologen, Biologen, Philosophen und Künstler diesen Lebensraum am Amazonas untersuchen, in dem es, wie die Künstlerin notiert hat, den Begriff Natur gar nicht gebe. Zitat: „Im Amazonas existiert der Begriff Natur nicht. Denn alles ist miteinander verwoben, überlagert und durchdringt sich, ist in ständiger Interaktion und Bewegung. Die strikte Trennung von Natur und Kultur ist eine Vereinnahmung durch westlich-europäische Sicht.“ Darüber ließe sich trefflich diskutieren.

Man kann ja als Künstler auf die Erkenntnisse der Wissenschaft vom Zustand der Erde auf zweierlei Weise reagieren: als alarmistisch-aktivistischer Mahner oder mit der eindringlichen Suche nach einem schöpferischen Impuls der Nachdenklichkeit, sozusagen einer ethisch motivierten Ästhetik. Dafür hat sich Ilka Raupach entschieden. Neben der sinnlichen Neugier auf die Welt tritt die andere, hauptsächliche Triebkraft ihrer künstlerischen Arbeit zutage. Es ist die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Material Holz, mit seinen Strukturen, Bewegungseigenschaften und Oberflächen, kurz: den immergleichen, dabei unendlich verschiedenen Erscheinungsformen des Gewachsen- des Lebendigseins.

Ilka Raupach kennt die Eigenschaften der unterschiedlichen Hölzer, sie weiß genau, was sie dem Material zumuten kann und wenn sie den rohen Baumstamm vor sich sieht, dann beginnt die Imagination der noch in ihm verborgenen Formen.

Denn Bildhauerei ist wie schon gesagt: Abtragen, durch Zerstörung das Neue schaffen, man könnte auch sagen: das Neue freilegen. Zuerst einmal ist das Freigelegte die Schönheit des Materials, die Anmutung seiner Wärme und die zu Bildern geronnene Spur seines Lebens, die Jahresringe, Farbspiele, -muster und Schwundrisse.

Und dann sieht man die Arbeitsspuren der Bildhauerwerkzeuge, Sägen, Beitel, Stemmeisen, Stecheisen und Schnitzmesser und am Schluss der Firnis für die Oberflächen, die aber oftmals rauh bleiben oder zuweilen auch mit zurückhaltend monochromer Fassung versehen sind.

Ilka Raupach arbeitet mit Laubhölzern von unterschiedlichem Charakter: Eiche, Ulme, Robinie, Birke, Esche, Walnuss, um nur die Hölzer zu nennen, die in unserer Ausstellung vorkommen. Sie hat zu dem Vorgang geschrieben: „Ich arbeite fast täglich mit dem Holz gefallener und gerodeter Bäume in meinem Dorf. Das Material steht mir hier frei und in großen Mengen zur Verfügung. Es lädt mich regelrecht ein, es zu transformieren und somit zu erhalten, nicht in Feuerstätten enden zu lassen. Ich spüre direkt die Unterschiede verschiedener Hölzer, ihren Widerstand Aufbau, Geruch, ihre Farbgebungen und entdecke ihre Geschenke an mich. Ich folge der Maserung, den Jahresringen, Rissen, Verzweigungen und nutze diese bewusst für die Formfindung meiner Arbeiten.“

In solchen kurzen, immer wieder poetisch erhellten Texten hat die Bildhauerin über ihren Bezug zu Natur und Natürlichem nachgedacht. Auch ihre Arbeiten auf Papier, das ja eine Art Derivat des Holzes ist, stehen in diesem Zusammenhang. Vor allem die Collagen aus faserigem Seidenpapier, getönt und bezeichnet mit farbigen Tinten, zusammengefügt zu frei hängenden, räumlich erfahrbaren Gebilden mit wässrigem Kleister. Auf eine nahezu „postimpressionistische“ Weise rufen sie im Betrachter Erinnerungen an natürliche, plastisch gesehene Räume wach, Reflexionen von Erlebtem: der Sommerwald mit blauem Himmel, die kühle Meereslandschaft oder das schroffe Gebirge im Abendlicht. Nicht umsonst trägt eine der Serien von Collagen, die hier zu sehen sind, den Titel „Wanderlust“. Aber das ist schon wieder ein anderes Kapitel. Damit Sie bald durch diese schöne Ausstellung wandern können, ende ich hier. Aber nicht ohne mit einem Zitat der Preisträgerin zu schließen, das Sie mit auf den Weg nehmen können:

„Vor allem sind es die kleinen Dinge, oft als unbedeutend angesehen, die mich interessieren. Ihnen schenke ich meine Aufmerksamkeit. Meine Forschungen, Begegnungen, Erfahrungen und vor allem Sinneseindrücke transformiere ich in geschnitzte Objekte aus Holz und in farbstarke vielschichtige Collagen aus Papier. Das Fragmentarische, Rätselhafte, Offene und das Zulassen fortlaufender Veränderungen ist meinen Arbeiten eigen. Sie sollen Betrachtern Raum lassen zu eigenen Interpretationen.“

(….)

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Wie ist die Kunst von Ilka Raupach?